Schutz und Erforschung oder Vernachlässigung und Abriss?

Der Umgang mit Standorten früher Konzentrationslager in Baden-Württemberg und Sachsen

Meine kürzliche Teilnahme an einem Kolloquium des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg und der drohende Abriss der Kommandantenvilla des frühen Konzentrationslagers Sachsenburg geben mir Anlass zu diesem Beitrag.

Kolloquium „Die ersten nationalsozialistischen Konzentrationslager – eine Bestandsaufnahme“ Anfang Juli in Ulm

Ausgangspunkt des Kolloquiums in Ulm war der Abschluss eines zweijährigen Forschungsprojekts des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg zur historischen Bestandssituation der frühen NS-Konzentrationslager. In dessen Rahmen wurden fünf Objekte untersucht und dokumentiert: das Lager Heuberg, das Kloster Gmünd, das Schloss Kieslau, das Hofgut Ankenbuck und das Fort Oberer Kuhberg in Ulm. Das Kolloquium diente neben der Vorstellung der Projektergebnisse auch als länderübergreifender Austausch mit Fachleuten aus Gedenkstätten, Denkmalbehörden, der Bauforschung und der Restaurierung.

Bedeutung der Standorte früher Konzentrationslager und Herausforderungen des Erhalts

Schon von Beginn an wurde die Bedeutung der Standorte früher Konzentrationslager deutlich, die nachdrücklich den Beginn des nationalsozialistischen Unrechtssystems markieren, da in ihnen kurze Zeit nach der „Machtergreifung“ 1933 Gegnerinnen und Gegner des NS-Regimes in großer Zahl ohne juristische Handhabe gefangen und gefoltert wurden, Zwangsarbeit leisten mussten und teils auch ermordet wurden. Die frühen Konzentrationslager befanden sich oft mitten in den Ortschaften, waren öffentlich bekannt und dienten als Erprobungsfelder des NS-Zwangslagersystems.

Oft waren die frühen Konzentrationslager nur in Teilbereichen von Gebäuden und Anlagen eingerichtet und bestanden nur wochen- oder monatelang, maximal wenige Jahre, wonach in der Regel jahrzehntelange andere Nutzungen folgten. All das stellt eine große Herausforderung für ihren Erhalt dar. Wie zahlreiche Kolloquiums-Beiträge zeigten, gelang es in vielen Fällen dennoch, die Lagerstandorte innerhalb der Gebäude und Anlagen zu lokalisieren und KZ-zeitliche Bauelemente und -spuren zu ermitteln, die nun geschützt und erhalten werden können.

Das frühe Konzentrationslager Fort Oberer Kuhberg

Im Rahmen des Kolloquiums fanden Führungen durch das Fort Oberer Kuhberg statt, auf denen die verschiedenen Phasen dieses Ortes beleuchtet wurden. Die Festung wurde Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut. Zwischen November 1933 und Juli 1935 befand sich dort ein frühes Konzentrationslager, anschließend eine Fabrik und ein Kriegsgefangenenlager. Beim Gang durch die zugigen und feuchten Kasematten ist noch gut nachvollziehbar und schockierend, unter welch unmenschlichen Bedingungen die Gefangenen, die oft auch Folter ausgesetzt waren, hausen mussten. Der Boden aus gestampftem Lehm verwandelte sich häufig in Schlamm, Heizmöglichkeiten waren nur partiell vorhanden und vollkommen unzureichend, die provisorischen Sanitär-Einrichtungen völlig ungenügend. Die Unterbringung in diesen Räumen, die in keiner Weise menschenwürdig war, kann als Form der Bestrafung und Folter angesehen werden.

Fort Oberer Kuhberg Ulm / Blick in den Gang mit den einstigen unabgetrennten Gefangenenunterkünften /// KZzeitliche Raumnummerierung.

Vor Ort befindet sich heute eine Gedenkstätte. Es macht sehr viel Mut zu sehen, wie gut die Zusammenarbeit und der Austausch mit den Denkmalbehörden funktioniert. Die Ergebnisse des Pilotprojektes, die neben der Erkundung und Dokumentation baulicher Spuren der KZ-Zeit auch neue Erkenntnisse zur Geschichte des Ortes erbrachten, sollen in die Vermittlungsarbeit integriert werden.

Denkmalschutz von Standorten früher Konzentrationslager in Sachsen

Ich stellte während des Kolloquiums die Ergebnisse einer Untersuchung zum Denkmalschutz ehemaliger früher Konzentrationslager in Sachsen vor. Bei den Recherchen konnte ich mich auf die Forschungen der sog. Atlasgruppe zu NS-Terror und Verfolgung in Sachsen stützen und auf die detaillierte Informationssammlung auf dem Gedenkplätze-Portal. Als Ausgangslage konnte ich die große Anzahl von 120 Standorten auf dem Areal des heutigen Freistaates Sachsen ermitteln. Sie dienten zwischen 1933 und 1937 für Tage, Wochen oder Jahre als unrechtmäßige Haftstätten. Hiervon sind nach aktueller Kenntnis mindestens 85 Standorte sowie zwei in Teilen erhalten. Mindestens 20 dieser Standorte wurden in den 1970er Jahren bereits in Denkmalverzeichnissen aufgeführt. Der Schutzstatus führte offenbar nicht zum Erhalt lagerzeitlicher Bausubstanz, sondern bezog sich hauptsächlich auf die DDR-Gedenkgestaltungen.

Und wie ist der Schutzstatus heute? Mit Stand Mai 2022 konnte ich in den Denkmallisten des Freistaates Sachsen zwei Objekte ermitteln, die aufgrund ihrer Geschichte als frühe Konzentrationslager als Denkmale ausgewiesen waren sowie sechs Standorte, bei denen dieser Aspekt in der Kurzcharakteristik erwähnt ist. 72 Standorte sind indirekt als Denkmale verzeichnet, d.h. aufgrund anderer bauhistorischer oder gestalterischer Gründe. Das wird aber nicht so bleiben. Das Landesamt für Denkmalpflege hat sich im Nachgang eines Vortrages, den ich kürzlich dort gehalten habe, bereit erklärt, den Denkmalstatus der von mir ermittelten Standorte zu prüfen und ggf. zu ergänzen.

Vortragsfolien zur Erhaltung der Standorte, zu den Ursprungsfunktionen der frühen Lager und zum Denkmalstatus Stand Mai 2022.

Erhalt und Umgang mit dem frühen Konzentrationslager Sachsenburg

Zu den bereits geschützten Standorten gehört der Standort des frühen Konzentrationslagers Sachsenburg in Frankenberg. Das Zwangslager wurde im Mai 1933 am Fuße des Schlosses in einem Spinnereigebäude für viele Tausend Gefangene errichtet und bestand bis August 1937, wonach die Gefangenen in das neu gegründete KZ Buchenwald überführt wurden. Gebäude und Räume des Lagers sind als Teile einer Sachgesamtheit, zu der auch weitere Anlagen, wie eine Mühle und eine Wehranlage gehören, ausgewiesen, wobei der Schutz sich auch auf industriegeschichtliche und ingenieurtechnische Aspekte bezieht.

Zu Sachsenburg gab es auf dem Ulmer Kolloquium gleich zwei Vorträge. So stellte die Dresdner Restauratorin Alma Thum die Ergebnisse ihrer 2020 abgeschlossenen Diplomarbeit vor, wobei deutlich wurde, dass bis dahin keine nennenswerten denkmalpflegerischen Maßnahmen an den Gebäuden durchgeführt wurden und auch die Bauuntersuchungen noch ganz am Anfang stehen. Anna Schüller von der Geschichtswerkstatt Sachsenburg wollte eigentlich über „ehrenamtliche Gedenkarbeit in Sachsenburg im Dialog mit dem Gelände“ sprechen. Da jedoch wenige Tage vorher bekannt wurde, dass die zum KZ-Komplex gehörende Kommandantenvilla demnächst abgerissen werden soll, war der Vortrag hiervon natürlich geprägt.

Trotz Denkmalstatus und trotz des funktionellen und räumlichen Zusammenhangs der Villa zu dem ehemaligen Konzentrationslager hatten die Denkmalbehörden dem Abriss schon vor längerem zugestimmt. Dieser soll nun ungeachtet internationaler Proteste und ungeachtet jahrelangen Ringens der Initiativen mit der Eigentümerin, der Stadt Frankenberg, alsbald erfolgen. An den beiden Vorträgen zeigte sich demnach, dass Denkmalschutz völlig sinnlos ist, wenn er nur pro forma besteht, nicht engagiert umgesetzt wird und keine Erhaltungsmaßnahmen nach sich zieht.

Bleibt im Hinblick auf den Standort des ehemaligen KZ Sachsenburg zu hoffen, dass die Verantwortlichen in Sachsen den Stellenwert der ehem. Kommandantenvilla noch erkennen und den drohenden Abriss verhindern, denn der Schutz und tatsächliche Erhalt als Denkmal offenbart auch das Verhältnis, das der Freistaat Sachsen diesem Teil seiner Landesgeschichte entgegenbringt. Auch das Bundesministerium für Kultur und Medien, wo die Stadt Frankenberg um eine Förderung zum Aufbau einer Gedenkstätte ersucht hat, sollte sich für den Erhalt der Kommandantenvilla einsetzen.

Stellungnahme der SLAG zum geplanten Abriss der ehemaligen Kommandantenvilla des früheren KZ Sachsenburg

Alle Fotografien und Grafiken Anke Binnewerg, VG Bild-Kunst Bonn

[19.7.2022]