„Wege entstehen dadurch, dass man sie geht“ – das zeitFORMEN-Jahr 2023

Wege entstehen dadurch, dass man sie geht“, schrieb Franz Kafka, dessen Todestag sich 2024 zum 100en mal jährt. „Dabei ist es gut, viele Erfahrungen mitzunehmen“, so würde ich ergänzen. Auch ich habe 2023 neue Wege beschritten, konnte neue Erkenntnisse sammeln, neue Themen und Methoden kennenlernen und neue Verbindungen knüpfen.

Das Kriegsende im Tharandter Wald. Ein Mitmach-Raum-Tagebuch

Die erste Jahreshälfte war durch das Projekt mit Carola Ilian zum Kriegsende im Tharandter Wald bestimmt. In intensiver Arbeit fanden wir Wege, die drei Ebenen gemeinschaftliche Forschung, raumbezogene Forschung und Einbeziehung individueller Perspektiven adäquat in Texten und Karten umzusetzen, die auch der Überlagerung und Verflechtung der verschiedenen Ereignisse Rechnung tragen. Die Ergebnisse haben wir in 25 Beiträgen bis Sommer 2023 auf der Internetseite des Projektes veröffentlicht.

Im Rahmen des Projektes hielten wir im Laufe des Jahres fünf Vorträge. Während es Anfang Mai in Kurort Hartha, Mohorn und Tharandt um die wichtigsten Ergebnisse ging, reflektierten wir im September in Königstein und im Dezember in Freiberg den Beteiligungsprozess und die Methodik des Projektes. Dies diente der Fortführung des Vorhabens, die 2024 angeschoben werden soll.

Das Projekt wurde 2022 und 2023 gefördert durch den Fonds Soziokultur Fonds Soziokultur aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten.

Ansicht der Geodatenbank zu dem Projekt mit Überlagerung verschiedener Ereignisse und Darstellung vieler Wege.

Georeferenzierung von alliierten Filmen aus dem KZ Buchenwald

Mit Filmen der Westalliierten, die nach der Befreiung des KZ Buchenwald zwischen April und Sommer 1945 entstanden sind, lernte ich Anfang des Jahres eine für mich neue Gruppe von Überlieferungen und eine Methode zur Filmauswertung kennen, die ich mit meinen Kenntnissen in Geoinformatik verbinden konnte. Im Rahmen des EU Horizon 2020 Projektes „Visual History of the Holocaust: Rethinking Curation in the Digital Age“ habe ich die Filmaufnahmen ausgewertet und identifizierte, lokalisierte und kartierte abgebildete Orte und Gebäude. Neben vielen anderen Aspekten, die ich in einem separaten Blogbeitrag beschreibe, waren die Kamerafahrten durch das befreite Lager besonders beeindruckend, da sie räumliche Zusammenhänge vermitteln, die heute nicht mehr nachvollziehbar sind.

Gedenkstätte Buchenwald. Weg auf dem Areal des ehemaligen „Kleinen Lagers“ des KZ Buchenwald, dass sich 1945 baulich und räumlich völlig anders darstellte, als heute.

Projekt zum historischen Industriestandort Muldenhütten

Seit Juli 2023 arbeite ich im Rahmen einer halben Stelle am Institut für Industriearchäologie der Technischen Universität Bergakademie Freiberg am Projekt „Lern- Lehr- und Vermittlungsort Muldenhütten“ mit. Damit einher geht die Beschäftigung mit für mich neuen Themenkomplexen, wie Montanwesen, Kreislaufwirtschaft und Ökologie. Gleichzeitig kann ich meine Expertise für Ausstellungen, Denkmalvermittlung und großräumliche Denkmalpflege einbringen.

Letztere sind wichtig, da der historische Industriestandort Muldenhütten als Teil der Bergbaulandschaft Freiberg zum Weltkulturerbe Montanregion Erzgebirge / Krušnohoří gehört. Er ist geprägt von einer vielgestaltigen Mischung historischer und neuerer Bauwerke und eingebettet in eine historische Haldenlandschaft. Ein wichtiger Teil ist die Freiberger Mulde, die den Hüttenstandort an drei Seiten begrenzt. Sie diente zum Flößen des benötigten Holzes und bildete die Wasserzufuhr für die Hüttenprozesse.

Freiberger Mulde bei Muldenhütten mit den historischen Halden beidseits des Flussbettes.

Forschungen und Aktivitäten zu Denkmalschutz ehemaliger NS-Zwangslager

Die Arbeit an meiner Promotion, bei der ich am Beispiel der Gedenkstätte Buchenwald die Geschichte, Theorie und Umsetzung des Denkmalschutzes ehemaliger NS-Zwangslager erforsche, führte ich 2023 kontinuierlich weiter. Neben einem Kapitel zu Grundlagen, Strukturen und Praktiken von Denkmalschutz und dessen Bezügen zur Erinnerungskultur, konnte ich schon mehrere Abschnitte des Hauptteils abschließen, in dem es um die historische Entwicklung des Standorts Buchenwald zum Kulturdenkmal geht.

Begleitend zur Arbeit an der Promotion erarbeitete ich einen Beitrag zum Denkmalschutz ehemaliger Früher Konzentrationslager in Sachsen, der im Band zum Kolloquium „Die ersten nationalsozialistischen Konzentrationslager – eine Bestandsaufnahme“ erscheinen soll. Bereits im Herbst wurde mein Beitrag über Perspektiven von Denkmalbehörden und Gedenkstätteninstitutionen auf Standorte ehemaliger NS-Zwangslager in dem von Prof. Dimitrij Davydov herausgegebenen Sammelband „Erinnerungskultur in der Verwaltungspraxis“ bei Springer veröffentlicht. Darin beleuchte ich einige Hintergründe für die Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Bedeutung von Orten von NS-Verbrechen und ihrem häufig defizitären Schutz und Erhalt.

Das es nötig ist, hier neue Wege zu gehen, wurde Ende 2023 in Sachsen verstörend deutlich. Denn im Dezember fanden undokumentierte Abrissarbeiten an der denkmalgeschützten ehemaligen Busgarage der nationalsozialistischen „Euthanasieanstalt“ Pirna-Sonnenstein statt, bei denen das Innere des Gebäudes und das Dach komplett zerstört wurden. Das Gebäude ist Teil des 1940 eingerichteten Tötungskomplexes, in dem 13.720 Menschen mit Behinderungen und 1.031 KZ-Gefangene durch Gas umgebracht wurden. Mit Hilfe einer Petition an die zuständigen Behörden wird aktuell versucht, wenigstens noch die vorhandenen Reste der ehemaligen Gebäudestruktur zu erhalten.

Gedenkstätte Buchenwald. Weg im ehemaligen Krankenbereich für Gefangene des KZ Buchenwald.

[08.01.2024]